Entspannt Kampagnen managen – die reCampaign 2016

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Wir #DMW kommen konferenztechnisch schon ein bißchen rum, aber selten waren wir auf einer so entspannten Konferenz wie der reCampaign. Trotz straffem Programm, intensiven und mitunter den Zeitrahmen sprengenden Diskussionen und emotionalen Einblicken in die Arbeit der Referenten war am Ende des Tages bei keinem von uns die Luft raus. Das muss man erstmal schaffen.

Keynote Speakerin Elisabeth Wehling. Bild: reCampaign
Keynote Speakerin Elisabeth Wehling. Bild: reCampaign

Der Tag startete mit einer Keynote von Elisabeth Wehling, Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin an der Universität Berkely und Gründerin des Berkeley International Framing Institutes. Sie erklärte wie man mit Sprache Deutungsrahmen schaffen („Framing“) und damit eine Debatte in eine bestimmte Richtung lenken kann. Framing funktioniert durch das Anbinden von Ideen an alltägliche Erfahrungen, z. B. bei dem Wort „Steuerlast“. Beim Lesen oder Hören des Wortes „Last“ werden in unseren Köpfen Frames aktiviert, die mit Schwere, Schaden und Belastung zu tun haben. „Steuerlast“ ist ideologisch geprägt und entspringt dem Weltbild konservativer Denker, dass Steuern per se schlecht sind: Wer Steuern geringer macht, hilft den Menschen; wer sie erhöht, steigert die emotionale und körperliche Belastung. Problematisch dabei: der Begriff „Steuerlast“ hat sich schon so in unseren Sprachgebrauch eingeschlichen, dass er auch von Akteuren genutzt wird, die Steuern eher als Beitrag zur Gestaltung von Gesellschaft betrachten. Der konservative Frame, dass Steuern etwas schlechtes sind, wird dadurch immer wieder aktiviert, da hilft auch eine Abschwächung durch Wörter wie „sogenannte“ nichts.

Framing schlägt sich direkt auf unser Verhalten nieder und kann politische Vorhaben kippen oder stärken. Obama zum Beispiel hat es bei der Kommunikation des Affordable Care Acts versäumt, eine passende Framing-Strategie aufzustellen. Die GOP framte daraufhin Krankenversicherung als Produkt, also etwas, das in verschiedener Form am Markt vorhanden ist und je nach Bedarf eingekauft werden kann, das jetzt aber den Bürger aufgezwungen werden soll und ihre Freiheit einschränkt. Proteste folgten und Obamacare war am Ende nicht mehr das, was es mal sein wollte. Apropos GOP: Zum Zeitpunkt der reCampaign, am 31.10., wähnten wir uns alle noch in der Sicherheit bald von „Madame President“ sprechen zu dürfen. Elisabeth Wehling hat bereits in einem Artikel im Mai analysiert, warum Trump so erfolgreich ist und einige Analysen zu seinem Wahlerfolg veröffentlicht. Lese- bzw Anguckempfehlung für alle Kommunikatoren!

Tristan Harris mit harten Wahrheiten. Bild: reCampaign
Tristan Harris mit harten Wahrheiten. Bild: reCampaign

Die zweite Keynote hielt Tristan Harris, Gründer von Time Well Spent aus San Francisco, der über Ethical Design und die Attention Economy sprach und dabei einige sehr unangenehme Wahrheiten benannte: Er verglich das Smartphone mit einem einarmigen Banditen, dessen Suchtpotenzial drei bis vier mal größer ist im Vergleich zu anderen Glückspielen. Jedes Mal wenn wir das Handy checken, werfen wir sprichwörtliche Münzen nach, um herauszufinden, ob wir was gewonnen haben. Anders lässt es sich nicht erklären, dass man nochmal aktualisiert wenn man grad vor 10 Sekunden erst Mails gecheckt hat. Die Attention Economy arbeitet mit dieser Sucht nach Neuigkeit und der Angst etwas zu verpassen: „You win by being better in getting people to spend time“.

Speziell den Griff zum Smartphone gleich nach dem Aufwachen sieht Tristan kritisch, denn mit der ersten Tat des Tages „programmiert“ man sein Hirn. Jeder Tag ist neu und frisch, sämtliche Möglichkeiten liegen vor einem… doch das Smartphone vermittelt uns eine ganz bestimmte Vorstellung davon was wir mit dem Tag anstellen wollen. Er schlägt vor sich den idealen Morgen vorzustellen (langsam Aufwachen, eine Runde laufen, duschen, was Leckeres frühstücken…) und dann mit dem tatsächlichen Ablauf eines Tages zu vergleichen, der mit dem Griff zum Handy beginnt. Hilft einem der Lockscreen dabei, all die Dinge zu tun, die man tun möchte? Oder wird man zu anderen Dingen verleitet? Was der Lockscreen einfach macht ist zu sehen, wer gerade etwas postet, schnell eine App zu öffnen und schnellen Zugang zu neuen Informationen zu haben. Das führt jedoch dazu, dass man schnell denkt „Es ist viel los und ich komme nicht hinterher“. Tristan sagt, der Lockscreen sollte stattdessen dem Nutzer dienen und nur noch das zeigen, das uns wichtig ist und uns dabei hiflt, ideal in den Tag (oder Nachmittag oder Abend) zu starten. Ja bitte!!! (die Autorin dieser Zeilen ist ein totaler Smartphone-Zombie).

Jasna Lisha Strick über Hatespeech. Bild: reCampaign
Jasna Lisha Strick über Hatespeech. Bild: reCampaign

Ein zentrales Thema in den nachfolgenden Sessions war „Hatespeech“. In einem Workshop mit Jasna Lisha Strick und der abschließenden Panel-Diskussion mit Betül Ulusoy, dem Richter Dr. Ulf Buermeyer, freiag-redakteur Felix Werdermann und Johannes Baldauf von der Amadeu Antonio Stiftung, aber auch in Gesprächen auf der Treppe – das „Affenfelsen“-Pendant der rC16 – wurde deutlich, wie wichtig das Thema für die digitale Arbeit von NGOs ist. Die sehr eindrucksvolle Session von Jana Lisha Strick leitete das Thema auf beklemmende Weise mit ihren persönlichen Erfahrungen nach #aufschrei und #ausnahmslos ein – in der nachfolgenden Diskussion mit dem Publikum entstand sofort das erste Barcamp Thema: Kampagnenideen um politischen Druck zu erzeugen, gesetzlich stärker gegen Hatespeech vorzugehen. Leseempfehlung an dieser Stelle: die Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung zum Thema: Geh Sterben! Umgang mit Hatespeech und Kommentaren im Internet.

Insgesamt überzeugte die reCampaign mit einer sehr guten Tagesplanung: lange Pausen, Konferenzspiele und viele Möglichkeiten zum Austausch ließen den Tag – trotz klassischer Frontalbeschallung – nicht anstrengend werden.

Paneldiskussion über Hate- und Counterspeech. Foto: reCampaign
Paneldiskussion über Hate- und Counterspeech. Foto: reCampaign

Einzige Verwunderung des Tages: im ganzen Gebäude der Heinrich-Böll-Stiftung gibt es keinen Handyempfang. Man musste nach draußen in den Regen für jedes Telefonat. Das Wifi war sehr ordentlich und ehrlich gesagt war es auch ganz nett, mal nicht mit Anrufen gestört zu werden, aber liebe Böll-Stiftung: wie arbeitet ihr dort tagaus, tagein bloß? Festnetz only? Echt? Das geht?

Für alle, die nicht dabei sein konnten oder nur das Barcamp am zweiten Tag geschafft haben: alle Vorträge wurden als Audiospur aufgenommen und stehen bei Soundcloud zum Anhören bereit: https://soundcloud.com/recampaign

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